Visionen einer Friedenskirche - Vortrag von Dr. Hans Steidle

Visionen einer Friedenskirche
Heimatpfleger Dr. Hans Steidle bei seinem Vortrag "Visionen einer Friedenskirche" anlässlich des "Danke-Festes" für Spender und Spenderinnen zugunsten der St. Johanniskriche. Musikalisch wurde der Abend ausgestaltet von Regine Schlereth und RoseMarie Kurz (im Bild v.l.).

 

 St. Johannis - Visionen einer Friedenskirche

Vortrag von Dr. Hans Steidle am 16. Oktober 2020

„Die St. Johanniskirche gehört zu den bedeutendsten evangelischen Bauten der deutschen Nachkriegszeit. Die Pfarrkirche besitzt aufgrund ihrer geschichtlichen und baukünstlerischen Bedeutung einen über Bayern hinausragenden Stellenwert.“ Dies stellte der bayerische Generalkonservator Prof. Matthias Pfeil 2019 fest und sprach ihr als Bau- und Kunstwerk überregionalen Rang zu. Architektur und künstlerische Ausstattung der St. Johanniskirche formen sie vor allen anderen Stätten in Würzburg zum Mahnmal und Denkort für den Frieden. Sie ist eingebettet in eine Landschaft der Erinnerung, denn in unmittelbarer Nachbarschaft befinden sich das Kriegerdenkmal für die gefallenen Soldaten beider Weltkriege, sowie das Massengrab der Opfer des Bombenangriffs vor dem Hauptfriedhof. Hinzu kommen der Weg der Erinnerung, den die unterfränkischen Juden 1941 bis 1943 zu den Deportationszügen in dem Verladebahnhof Aumühle gehen mussten, und seit diesem Jahr der DenkOrt des Deportationsdenkmals vor dem Würzburger Hauptbahnhof. In diesem Umfeld entfaltet St. Johannis seine Symbolik als Friedenskirche.  


Der Begriff „Friedenskirche“ geht auf die Beschlüsse des Westfälischen Friedens im Jahr 1648 zurück. Sie erlaubten den schlesischen Protestanten im katholischen Habsburgerreich, drei „Friedenskirchen“ zu bauen. Es war verboten, die Kirchen mit Türmen oder Glocken zu versehen oder mit Stein und Ziegel zu bauen, nur Holz, Lehm und Stroh durften verwendet werden. Trotz der diskriminierenden Einschränkungen entstanden in Jawor/Jauer und Świdnica/Schweidnitz 1655 und 1657 die größten und beeindruckendsten Fachwerkkirchen Europas für 5500 und 7500 Gläubige. „Friedenskirche“ ist auch der Name oder das Patrozinium verschiedener evangelischer Pfarrkirchen, unter anderem der in Rottendorf. Als Friedenskirche bezeichnet man auch eine christliche Konfession, die sich in besonderer Weise zur Förderung des Friedens und zur Nichtteilnahme am Krieg verpflichtet hat, am Pazifismus des Urchristentums festhält und den Kriegsdienst, zumindest den mit der Waffe, verweigert. Auch deswegen wurden seit dem 13. Jahrhundert die Katharer und die Waldenser von der katholischen Kirche als Ketzer verfolgt. Aus der Reformation kamen die Hutterer und Mennoniten, dann die Quäker und die Zeugen Jehovas. hinzu.  Die Anhänger Luthers haben die Positionen der Friedenskirchen im Augsburger Bekenntnis ausdrücklich abgelehnt. Obwohl ich meine Sympathie für die pazifistischen Konfessionen bekenne, verwende ich Friedenskirche auch nicht diesem Sinne.


Ich meine, dass die Johanniskirche als Bauwerk und mit ihrer Ausstattung besonders zur Kirche der Friedensidee geeignet ist, dass sie Visionen vom Frieden ermöglicht. Vision (lateinisch visio für „Anblick, Erscheinung“) ist ein vielschichtiger Begriff. In dieser Kirche werden allgemeine und übergreifende Ideen zur Erscheinung gebracht, also vergegenständlicht. Eine Vision kann auch eine positiv-formulierte und motivierende Vorstellung des Zustandes sein, den wir in einer Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaft anstreben. Die Vision besagt, wo und wofür die entsprechenden Menschen in der Zukunft stehen wollen. In diesem Sinne will ich die Kirche von St. Johannis und die in ihr zum Ausdruck gebrachten Ideen zum Frieden deuten.


Schon die Titelseite des „Würzburger evangelischen Gemeindeblatts“ verband im Juni 1891 die noch nicht errichtete St. Jo-hanniskirche mit der Idee des Friedens, als unter das Bild der geplanten Kirche folgender Satz aus dem Epheserbrief Eph. 4.3 gestellt wurde: „Seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens.“ Paulus wandte sich inneren Angelegenheiten der jungen christlichen Gemeinde in der kleinasiatischen Stadt Ephesus zu, doch scheint mir eine weitere Bezugnahme möglich und relevant. Was verstehen wir unter dem Band des Friedens?
Nehmen wir die Aufforderung des Zitates ernst, dann bedarf es für das Zusammenleben der Menschen einer Einigkeit des Geistes, also einer gemeinsamen Grundüberzeugung, die durch die Verbundenheit im Frieden wurzelt. Das Band des Friedens stellt eine grundlegende Entscheidung dar, im Zusammenleben, auch bei Konflikten auf physische, militärische, materielle und psychische Gewalt zu verzichten und im gegenseitigen menschlichen Respekt miteinander zu verkehren. Was Paulus als eine Streitschlichtung unter verschiedenen christlichen Gruppierungen in Ephesus andachte, gilt natürlich heute nicht nur für das Verhältnis in einer christlichen Gemeinde, sondern für das Verhältnis der verschiedenen christlichen Konfessionen, der Religionen und Völker, ist also als ein universaler Aufruf zur Friedfertigkeit.
Politisch präzisiert wird dies besonders in Art. 1. des Grundge-setzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt."  Diese Sätze sind das demokratische Basisbekenntnis in Deutschland. Der einige Geist bezieht sich auf die Menschenwürde als den obersten Wert unseres Gemeinwesens, aber auch in globaler Hinsicht, weswegen die Achtung und Durchsetzung der Menschenrechte weltweit erst eine wirkliche Garantie für den Frieden in und zwischen den menschlichen Gemeinschaften  garantiert. Dies ist der positive Friedensbegriff, während man als negativen Friedensbegriff die Abwesenheit von Kriegen sieht. Die zwei schrecklichen Weltkriege, die Deutschland mitzuverantworten oder begonnen hat, beweisen, dass allein schon die Verwirklichung des negativen Friedens äußerst wichtig ist.


Weil das Band des Friedens nicht geknüpft war und die Regierungen und Völker einte, wurde schließlich auch am 16. März 1945 die Stadt Würzburg in einem militärisch nicht mehr notwendigen Bombeninferno fast völlig zerstört. Mehrere Tausende Menschen starben eines qualvollen Todes. Dieses Ereignis ist ein Beispiel, wie sich Gewaltanwendung im Krieg verselbständigt und auch den gerechtfertigten Zielen einer kriegsführenden Macht, hier die NS-Terrorherrschaft zu beenden, widersprechen kann. In dieser Nacht wurde auch die neugotische St. Johanniskirche fast völlig zerstört, stehen blieb nur der hohe Stumpf des Turms mit der Westfassade. Es sollte zwölf Jahre dauern, bis an diesem Platz die neue Johanniskirche errichtet war.
Schon 1942 bestellte die Gemeinde bei dem Münchner Künstler Karl Hammeter eine neue Skulpturengruppe, die den ersten Baustein für die Friedenskirche von St. Johannis bilden sollte. Aufgestellt wurde das Werk erst Ende der 1940er Jahre nach dem Krieg in einer Notkirche im ehemaligen Versammlungssaal der evangelischen Arbeiterschaft. Heute befindet es sich an der Südwand des Langhauses in der St. Johanniskirche.
Das Thema der Figurengruppe ist die Fußwaschung der Jünger durch Jesus während des Abendmahls, sie verdeutlicht den Weg des Friedens. Nach dem Johannesevangelium wusch Jesus als Zeichen der Demut und des Dienens seinen Jüngern die Füße. Die Szene von Brot und Wein als Erinnerungsstiftung für die Gläubigen fehlt. Das Dienen der Führenden ist nach Johannes das eigentliche Vermächtnis Jesu. Die Liebesgeste kommt nicht nur den Anhängern, sondern allen Menschen zugute. Es befinden sich auch zwei Paare von Mann und Frau unter den Menschen, denen Jesus die Füße salbt. Damit nimmt der Künstler eine gedankliche Erweiterung auf alle Menschen vor.  In Hammeters Darstellung wäscht Jesus Judas Ischariot die Füße, der durch seinen Verrat das Erlösungswerk Jesu einleitet. In Scham wendet sich Judas ab. Damit lässt der Künstler Jesus diese Geste des Dienens auch an dem, der sich vom Vertrauten zum Feind entwickelt hat, vornehmen, wissend, dass der Verrat stattfinden wird. Liebt eure Feinde, so lautet der provozierende Appell, den Jesus in der Bergpredigt an die Menschen richtet. Damit erweitert und überbietet er das Gebot der Nächstenliebe.
Die Figuren sind in einer gegenständlichen, jedoch abstrahierenden Formensprache des Spätexpressionismus gehalten, dessen Hauptvertreter Ernst Barlach war. Hammeters Menschen sind von dem Leiden und der Not der Jahre von Krieg und Nachkriegszeit gezeichnet. Diese Skulptur, 1942 in Auftrag gegeben, stand der damals in Deutschland gültigen Auffassung von Herrschaft und Führung vollkommen entgegen und wirkt auch für heutige Verhältnisse radikal. Jesus gibt nach dem Johannesevangelium ein Beispiel für die Nächstenliebe und den Dienst am Menschen, die den Frieden erst ermöglichen. „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ (Johannes 14/27)


Der nächste Schritt, die Johanniskirche zu einer Kirche für den Frieden zu gestalten, ging von der Gemeinde St. Johannis und deren Vertretern zu Beginn der 1950er Jahre aus. Sie entschieden nämlich, dass die Ruine des Westturm nicht abgerissen wird, sondern mit dem Neubau zu verbinden war. Sie griffen dabei auf eine aus England stammende Idee, die Reste einer durch Bomben zerstörten Kirche als Mahnmal gegen den zerstörerischen Krieg zu erhalten und den neuen christlichen Geist, vor allem den der Versöhnung mit dem Kriegsfeinden, in dem Kirchenneubau zum Ausdruck zu bringen. So geschah es in Coventry und der Berliner Gedächtniskirche, aber überzeugender gelang dies in der Würzburger St. Johanniskirche.


Es waren die Vertreter der Gemeinde St. Johannis, die bewusst nicht den Siegerentwurf verwirklichen wollten, der eine Betonkirche abgetrennt vom isolierten Turm vorsah. Sie wählten den Entwurf des Münchner Architekten Rainer Riemerschmied. Der setzte sich wie der Architekt der evangelischen Notkirchen Otto Bartning (ihm verdanken wir die Würzburger Martin-Luther-Kirche) für den Erhalt der Ruinen im Rahmen des Wiederaufbaus ein – als Zeugnisse der Zerstörung, denen man die Geschichte von Zerstörung und Gewalt ansah. Wie sein Lehrer Professor Döllgast setzte Riemerschmid sich für die Ergänzung der Ruinen von historischen Denkmälern und nicht für deren Rekonstruktion in der historischen Form ein. So würden der historische Bruch und die Zerstörung der Gebäude und des Lebens, die Resultate des Kriegs, verbaut und ausgelöscht, kurzum die Geschichte verfälscht.
Architekt Riemerschmid, der nach 1945 ausdrücklich die erhaltenswerte Zeugenschaft der Ruinen hervorhob, hat gemäß dem Wunsch der Gemeinde den erhaltenen Turmstumpf der zerstörten Kirche bewusst als wesentlichen Bestandteil der neuen Kirche verwendet. Bei der Kathedrale von Coventry und der Berliner Gedächtniskirche blieben die Ruinen abseits des Neubaus gestellt. In St. Johannis wurde der vom Brandfeuer der Bombennacht geschwärzte Turmstumpf mit Absicht als Mittelteil der Westfassade gewählt. Durch seinen Erdgeschossraum betreten wir den modernen Kirchenraum und gehen durch die Vergangenheit in die Gegenwart. Das entspricht der geschichtlichen und existenziellen Wahrheit.
Rechts und links wachsen zwei spitze gotische Turmhelme als markante Architekturzeichen 60 Meter in den Himmel. Bei ihnen handelt es sich um zwei ausgereifte Stahlkonstruktionen, aufgesetzt auf die früheren seitlichen Treppentürme, verkleidet mit silbergrauen Faserzementschindeln. Man kann in ihnen auch zwei überdimensionierte gotische Fialen oder auch zwei pfeilartige Körper sehen, die nicht nur in den Himmel zeigen, sondern in den Himmel abheben wollen. Der Turmstumpf ist heute das einzige verbliebene bauliche Zeugnis des zerstörten Würzburgs von 1945. Er bildet das ruhige, statische Element neben den beiden vertikal dynamischen Turmhelmen. So bietet sich das folgende Sinnbild an: Aus den Ruinen erwuchs und erwächst eine Hoffnung, ein neuer Glaube, man richtet den Blick nach oben auf eine große Idee, auf ein Ziel.  Diese Turmgruppe ist nicht nur ein Symbol des Wiederaufbaus, auch nicht nur ein Mahnmal gegen den Krieg, ihre Symbolik betrifft den übergeordneten Kontext des Friedens, der aus der Zerstörung des Krieges entstehen und sich wie der Himmel weltweit entfalten und durchsetzen möge. Er ist aber auch so fern wie der Himmel.
Die Turmgruppe und der Kirchenneubau bilden eine spannungsreiche Einheit. Betont die Turmgruppe das vertikale, himmelsstrebende Element, steht der Kirchenbau für das horizontale Element mit einer Höhensteigerung im Chor. So verkörpert der Kirchenbau die Idee der fortschreitenden Entwicklung.  Der Kirchenneubau ist konsequent durchgeformt im frühgotischen Geist der Einfachheit, der Klarheit, der Pointierung von Raum und Licht. Riemerschmid gestaltete Ideen der sakralen Gotik überzeugend in eigenständiger und zeitgenössischer Architektur. Die unverputzten Außen- und Innenwände sind vor allem mit Backsteinen, aber auch mit Natursteinen der alten, zerstörten Kirche gemauert. Die Schichten von Ruinensteinen der zerstörten Kirche gliedern die Flächen in einem klaren Muster. Die Wände beruhigen und umhüllen einen großen Raum. Mit den Ruinensteinen wurde die Vergangenheit des von Deutschland entfesselten Weltkriegs, der Vernichtung und der Zerstörung, auch zum Bestandteil des Neubaus. Die steinsichtigen Wände in Wechsel mit Beton als modernem Baustoff ermöglichen Sammlung, Konzentration und Integration und tragen zur Architektur der Stille bei.
Der Innenraum ist symmetrisch und horizontal auf den Chor hin orientiert. Dieser endet in Abwandlung vom rechteckigen Chor mittelalterlicher Reformklöster trapezförmig und verengt sich zu einer geraden Wand. Weil Riemerschmid mit Taufkapelle und Fenstergliederung Asymmetrien integriert, schafft er eine einfach strukturierte Abwechslung und eine optische Anregung. Betritt man die Kirche, lässt ein wandhoher Fensterschlitz von rechts ein erstes Licht einfluten. Ansonsten bleibt unverputzte Wand. An der linken Wand reihen sich hochgelegene, in Beton gefasste Fenster. Die Kirchenbesucher befinden sich im Schattenraum, dem Raum von Ahnung und Unsicherheit. Der Chor wiederum wird durch vier wandhohe Fensterschlitze von rechts und ein Fensterband an der Giebelseite in einer dramaturgisch gesteigerten Lichtinszenierung hervorgehoben. Hier herrschen Erhellung, Erleuchtung, Wissen. So ist Riemerschmied ein überzeugendes Beispiel der Architektur der Stille gelungen, die Kontemplation, Besinnung und Integration der Menschen in den großen Raum ermöglicht. Diese Architektur der Stille eignet sich nicht nur für sakrale Räume, denn wir Menschen brauchen solche ideengespeisten Bauten der Stille und der Sammlung, um zu uns zu kommen. Die Architektur betont Klarheit, Ruhe, Sammlung, aber auch Größe und eine gewisse Leere und Weite, die man aushalten muss. Der Raum führt aber stringent und mit Steigerung nach vorne in den Chor. Das Licht von der Seite und von oben gliedert den Raum und gibt der Hoffnung und dem Streben eine Entwicklung und Richtung, die letztlich die große Skulptur im Chor als Zielpunkt angibt.
Die über vier Meter große Lindenholzskulptur „Der Wiederkehrende Christus“ von Helmut Ammann scheint trotz ihrer Größe in warmem Holzton wie eine Epiphanie, eine überirdische Erscheinung, im Chor zu schweben. In dieser Materialität folgt Ammann 1963 dem spätgotischen Bildschnitzer Tilman Riemenschneider, der uns in Rothenburg ob der Tauber und Creglingen zwei große Altäre ohne farbige Fassung hinterließ. Die Monochromie fördert Kontemplation und Meditation. Die Skulptur ist der Blickfang des Kirchenraums. Stilistisch wurde Ammann in seiner Reduktion der Figur und Verdichtung der Form beeinflusst von Barlach, aber auch von der romanischen Blockhaftigkeit und der gotischen Überlängung der Figuren. Nach der christlichen Symbolik ist die Wiederkehr Jesu verbunden mit dem Weltgericht, der Herstellung einer umfassenden Gerechtigkeit, und dem Reich des Friedens. Die rechte Hand ist zum Segen gehoben, das Schwert der Strafe fehlt, aber die segnende Hand wirkt wie mahnend erhoben, während die linke das Buch des neuen Bundes Gottes mit den Menschen umfasst. Dennoch, die blockhafte Figur korrespondiert mit dem strengen Gesicht und unterstreicht die herrschaftliche Richterfigur.


Amman, der mit dem Werk zur Meditation auffordern will, suchte „Urbilder“ zu verdeutlichen, hier das Urbild des Richters, der Maßstäbe setzt und Verantwortung fordert. Zwei flankierende Posaunenengel verkünden die Wiederkehr Jesu und die neue Zeit der Erlösung. Sie hüllen Jesus mit ihren eleganten Flügeln ein wie mit einem Lichterkranz und formen einen weichen, ovalen Rahmen, was den strengen Charakter des Werks mildert. Der Blick der Menschen sollte auf ein Reich des Friedens gerichtet werden, das ein ewiges ist und dem Reich des untergegangenen Nationalsozialismus, aber auch den bequemen Rezepten der Konsumismus entgegensteht. Der Weg zum universalen Frieden, der großen Menschheitsvision, ist nicht einfach und bequem, sondern mit Mühe, Leiden, Anstrengung und Selbstüberwindung verbunden. Der große leere Raum der Kirche und die mit Härte und Weichheit gestaltete Skulptur fordern zu einer sehr existenziellen und prinzipiellen Meditation heraus.


Abgerundet wird das künstlerische Programm durch die Skulptur „Tod durch Bomben“ des russisch- jüdischen Künstlers Vadim Sidur, die er der Stadt Würzburg als Zeichen der Völkerversöhnung schenkte. Seine jüdische Familie väterlicherseits wurde von den Nazis ermordet. Sein reduzierter, abstrahierender Stil stimmte wie seine Themen des menschlichen Leidens, der Invalidität, Gewalt und Tod nicht mit dem kommunistischen Kunstprogramm überein. In seiner massiven und zeichenhaften Skulptur, die 1993 vor der Kirche aufgestellt wurde, zeigt Sidur die Durchbohrung eines Menschen durch eine Bombe. Die kopflose, menschliche Figur ist wie auf den Boden angenagelt. Hier finden sich Ver-weisungen zur Kreuzigung, denn die Skulptur weist eine Kreu-zesform auf. Allgemeiner und unmittelbarer kann man die Menschenopfer des Bombenkriegs kaum darstellen. Somit steht Sidurs Werk in einem symbolischen und unmittelbaren Bezug zum Turmstumpf als letztem direkten Zeugnis vom Bombenangriff auf Würzburg.
Ich habe zu verdeutlichen versucht, dass diese fünf architekto-nisch und künstlerisch gestalteten Visionen St. Johannis zu einer Kirche formen, die alle Menschen zur Meditation über den Krieg und vor allem den Frieden einlädt. In der Deutung mag es verschiedene Wege geben, aber jeder der fünf Aspekte geht über den Mahnmalcharakter gegen den Krieg hinaus, ja manche stellen explizit in religiöser Erzählung und Symbolik die Hoffnung auf den Frieden und den Weg des Friedens dar. Abschließend weiß ich uns alle einig in einer gemeinsamen Vision, nämlich dass die Türme der St. Johanniskirche möglichst bald erneuert sind und silbergrau in den Himmel über Würzburg ragen. Dazu trugen bisher viele bei, besonders auch die Turmspender, damit die St. Johanniskirche auch zukünftig als Denkort für den Frieden überzeugend wirken kann gemäß dem Satz: „Suche Frieden und jage ihm nach“ (Psalm 34.15).
Nach was sollen wir jagen? Die EKD hat zum Friedensbegriff der Bibel ausgeführt, dass Frieden „mehr als die Abwesenheit von Krieg bedeutet (…). Frieden ist die Situation, in der menschliches Leben und Zusammenleben in jeglicher Hinsicht so ist, dass es den Menschen gut geht". Das meint auch das hebräische Wort für „Frieden“, schalom. Es bedeutet Frieden im Sinne von „heil sein“ oder „ganz sein“. Danach sollen wir suchen und jagen.